Der Ergänzungsband zu "Die DDR war Anders"
Ergänzungsband

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Der Ergänzungsband
Zu dem Buch ist (als Uni-Typoskript) erschienen:
DIE DDR WAR ANDERS - ERGÄNZUNGSBAND (290 S. € 12.50)
Darin werden 17 weitere sozial-kulturelle Schwerpunkte dargestellt.

Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis
Stefan Bollinger/Fritz Vilmar: Einleitung

1. Kritische Grundlegung - Allgemeines

1a Petra Ullmann
Die Darstellung der DDR in den aktuellen Berliner Schulbüchern (27 S.)

1b Horst Deutschländer
DDR-Soziokultur und -leben. Einige ausgewählte Gesichtspunkte (27 S.)

2. Kultur allgemein; Literatur; Kunst:


2a Marga Arndt
Kultur von unten. Über einen "Club der Werktätigen"

2b Antje Krüger
Verschwundenes Land - verschwundene Lieder? Die Singebewegung der DDR (31 S.)

2c Amy Holmes
Deutsche Demokratische Rockmusik

2d Uwe Marx/Eberhart Schulz
Bedeutung der Literatur in der DDR (25 S.)

3. Bildung/Erziehung

3a Roswitha Reinhold
Zur Vorschulerziehung in der DDR (14 S.)

3b Christine Hahn
Förderung von lernschwachen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (25 S.)

3c Paul Mitzenheim
Zum Charakter und zur Leistungsfähigkeit des Schulwesens in der SBZ/DDR (14 S.)

3d Christian Dietrich
"Sozialistische Errungenschaften" in der DDR für Kinder und Jugendliche - und ihr Verlust nach 1989. Auswirkungen auf das soziopolitische Bewußtsein der 15- bis 30-jährigen (13-19 S.)

3e Ulrike Sommer
"Sozialistische Errungenschaft" oder bloßer Pragmatismus? Zur Entwicklung der beruflichen Erwachsenenbildung in der SBZ/DDR von 1945 bis 1989 (24 S.)

4. Partizipation

4a Hannah Behrend
Mitbestimmungsmöglichkeiten an DDR-Universitäten am Beispiel eigener Erfahrungen vor allem an der Humboldt-Universität (17 S.)

4b Volkmar Schöneburg
Gesellschaftliche Gerichte in der DDR – Eine alternative Form der Konfliktbewältigung? (9 S.)

5. Selbständigkeit der Frauen
5a Franziska Rauchut/Elviera Thiedemann
Situation der Frauen in der DDR

5b Ingrid Miethe
Autonome Frauenbewegung

6.. Sozialpolitik

6a Viola Schubert-Lehnhardt
Sichtweisen von Ostdeutschen auf Transformationsprozesse im Gesundheitswesen (9 S.)

6b Gerhard Tietze
Sozialpolitik und Arbeitsschutz in der DDR (9 S.)


7. Wirtschaft

7a Hans Luft
Diskriminierungen der LPG nach 1989
Versuche, die Agrargenossenschaften auf kaltem Wege zu liquidieren (7 S.)

7b Jörg Roesler
Das NÖS als “aufgeklärte Planwirtschaft”
Zielstellung, Verwirklichung, Kritik und historische Bedeutung (27 S.)


Einleitung

Im I. Band unseres Buches "Die DDR war anders. Eine kritische Würdigung ihrer sozialkulturellen Einrichtungen" konnten wir nur eine Auswahl wichtiger kritischer Darstellungen vorlegen, weil der Umfang des bei edition ost erschienen Bandes im Interesse eines möglichst breiten Leserkreises und eines sehr erschwinglichen Preises begrenzt werden mußte. Aber dies war nur die knappe Hälfte des aus unserem Forschungsprojekt hervorgegangenen Gesamttextes. Deshalb haben wir die gleichzeitige Veröffentlichung eines Ergänzungsbandes geplant, den wir hiermit vorlegen.
Dieser Band erscheint aus zwei Gründen als Typoskript, als "Werkstatt-Edition": Erstens, um seinen Preis bezahlbar zu halten, zweitens aber - und dies ist der wichtigere Grund - weil wir uns bei diesem Band entschlossen haben, die inhaltliche und formale Verantwortung vollständig und allein bei den Autoren zu belassen; andernfalls hätten wir uns und die 18 (!) Texte einem unabsehhbaren Prozeß der editorischen, redaktionellen Kritik unterwerfen müssen.
Umfang und Charakter der hier versammelten Beiträge sind daher auch unterschiedlich.
Entsprechend unseres Projektansatzes haben wir uns den Themenschwerpunkten Kritische Grundlegung; Kultur/Literatur/Kunst; Bildung/Erziehung; Partizipation; Recht; Sozialpolitik; Ökonomie zugewandt, zu denen ausgewählte Studien sich in diesem Ergänzungsband wiederfinden.
Mit dem einleitenden Beitrag von Petra Ullmann wird die Wirksamkeit der herrschenden Geschichtspolitik, die die DDR vorrangig als Geschichte einer totalitären Diktatur und des Weges in den Untergang beschreibt, an Hand von in Berlin verwendeten Geschichtsschulbüchern nachgezeichnet. Es ist nicht überraschend: Die Geschichtspolitik zeigt ihre Wirkung. Horst Deutschländer unternimmt einen Diskurs in die Soziokultur der DDR mit ihre Wirkungen und Grenzen beim Umsetzen sozialistischer Ideale.
Einen breiten Raum auch im Ergänzungsband nehmen Kunst und Literatur ein, in denen oft grundlegende emanzipatorische Momente verwirklicht werden konnten, teilweise in Übereinstimmung mit den offiziellen Zielsetzungen, oft in aktiver Auseinandersetzung mit ihnen. Sie zeugten von der Verwurzelung humanistischer und sozialistischer Ideale, die vielen Bürgern bis zuletzt und teilweise auch über das Ende der DDR hinaus die Hoffnung gaben, für eine gute Sache zu arbeiten. Während Uwe Marx und Eberhart Schulz dies am Beispiel der Literatur im großen Überblick unternehmen, konnten für zwei Bereiche der politischen Alltags- und Gebrauchsmusik vertiefende Studien vorgelegt werden. Antje Krüger zeichnet dies für die Singebewegung der DDR nach, während Amy Holmes Texte und Entwicklungen der DDR-Rock-Musik untersucht.
Wurden im Grundwerk bereits nachdrücklich die Leistungen der DDR-Volksbildung bei der Entwicklung und Umsetzung des polytechnischen Prinzips gewürdigt, ohne ideologische Verklemmungen und Drangsalisierungen auszusparen, so unterwirft Paul Mitzenheim das Gesamtsystems der Volksbildung einer kritischen Sichtung. Roswitha Reinhold zeigt die Leistungen und Probleme der Vorschulerziehung auf, während Christiane Hahn in einem Ost-West-Vergleich die Anstrengungen bei der Förderung von Lernschwachen nachzeichnet. Ulrike Sommer untersucht aus westdeutscher Sicht gründlich die berufliche Erwachsenenbildung und spart dabei die Einflüsse auf die bundesdeutsche Diskussion nicht aus. In einen scheinbar politisch klar negativ bewerteten Bereich, dem der Jugendarbeit und damit der quasi staatlichen Jugendorganisationen, führt Christian Dietrich (mithilfe der Auswertung einschlägiger Befragungen nach dem Ende der DDR) ein. Das fast ersatzlose Verschwinden einer materiell und personell stark geförderten Jugendarbeit erweist sich heute als außerordentlicher Verlust für die ostdeutschen Jugendlichen.
Franziska Rauchut und Elviera Thiedemann arbeiten in einem umfassenden Beitrag die Bedeutung der Erwerbsarbeit (und der sie ermöglichenden Rahmenbedingungen für die Frauen) heraus, die früher und konsequenter als im Westen Deutschlands wesentliche Grundlage für eine Gleichberechtigung der Frauen legte, ohne sie aber umfassend verwirklichen zu können. Diese Grundlagen haben aber trotzdem nicht nur das Selbstbewusstsein der ostdeutschen Frauen im Vereinigungsprozeß gestärkt, auch der erhebliche Gleichberechtigungsvorlauf in Arbeit und Bildung blieb im vereinten Deutschland oft uneingelöst. Hannah Behrend zeigt am Beispiel der demokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten an DDR-Universitäten und Volker Schöneburg hinsichtlich der Gesellschaftlichen Gerichte, wie selbst in den scheinbar monolithischen, von der SED dominierten Machtstrukturen auf bestimmten Ebenen demokratische Verhaltensweisen und Erfahrungen erlebbar und gestaltbar waren.
Gerhard Tietze entwickelt an Hand der Arbeitsschutzes in der DDR die Aufgaben und den Umfang der Sozialpolitik als einem der zentralen Momente der DDR-Gesellschaft. Diese Sozialpolitik prägt bis zum heutigen Tag wesentlich die DDR-Erfahrung der Ostdeutschen positiv und hebt diese Erinnerung gegen die Realität des neoliberalen Gesellschaft mit ihrer sozialen Kälte positiv ab, ohne die politischen Verhältnisse in der DDR zu verherrlichen oder gar wieder haben zu wollen. Viola Schubert-Lehnardt kann dieses Herangehen der Ostdeutschen an ihre jüngste Vergangenheit hinsichtlich der Erfahrungen mit dem DDR- und nun dem gesamtdeutschen Gesundheitswesen auf der Grundlage von Befragungen exemplifizieren.
Hans Luft ergänzt seinen Aufsatz zu den Genossenschaften in der DDR im 1. Band mit einer noch präziseren Zusammenfassung der Diskriminierungen, denen die ehemaligen LPGen nach '89 unterworfen waren. Jörg Roesler zeigt schließlich, daß in Gestalt des Neuen Ökonomischen Systems, der DDR-Wirtschaftsreform in den sechziger Jahren Möglichkeiten einer Dialektik von Plan und Markt nicht nur diskutiert, sondern zeitweilig auch praktiziert wurden, bis sie ideologischem Dogmatismus zum Opfer fielen. Der Versuch einer Vermittlung von Planungs- und Wettbewerbsinstrumenten und nicht ihre sture Entgegensetzung, wie sie einst von den SED-Oberen und nun von den neoliberalen Managern und Politikern gepredigt wird, könnte den Ausweg aus den Grenzen beider Wirtschaftssysteme eröffnen.
Wiederum erweist sich, wie im 1. Band, daß die DDR-Erfahrungen "zukunftsfähig" sind: Es würde gesamtdeutschem Fortschritt dienen, sie systematisch aufzuarbeiten. Manche sozial-kulturellen Einrichtungen haben gerade in den ersten beiden Jahrzehnten der DDR eine positive Wirkung entfalten können – so bei der massiven Heranführung von Jugendlichen aus Arbeiter- und Bauern-Familien, aus den "kleinen Verhältnissen", an die Höhen von Wissenschaft und Kultur. Mit der Entwicklung einer breiten, aus diesen Kreisen entstandenen Intelligenz schwächten sich solche Vorteile ab. Auch wirkten nicht nur die repressiven Herrschaftsmethoden des Einparteienstaates, nicht nur die Verhärtungen im Kalten Krieg, sondern auch die materiellen Beschränkungen, etwa hinsichtlich der Bau- und Ausrüstungssubstanz des Gesundheits- und Sozialwesens, immer bremsend.
Als Hauptmanko aller sozialkulturellen Einrichtungen der DDR und wesentliche Ursache des Scheiterns des Staatssozialismus überhaupt erwies sich das ständige Demokratiedefizit: Die (paternalistisch-)autoritären Entscheidungen der Parteiinstanzen vereitelten systematisch ein Abwägen und eine öffentliche Diskussion um beste Lösungen. So war die teilweise groteske Politik niedriger, hochsubventionierter Preise, Mieten und Dienstleistungstarife ("Im Sozialismus gibt es keine Preiserhöhungen!") eng mit diesem fehlenden öffentlichen Diskussion verbunden, so daß nicht zuletzt dadurch die DDR in den wirtschaftlichen Ruin getrieben wurde. Dazu kam der teilweise pseudoreligiöse Parteidogmatismus und eine abgedroschene "klassenkämpferische" Agitation, so daß es nach 1989 der spiegelbildlichen Westagitation leicht fiel, z.B. die Kunst, die Volksbildung wie auch die Schul- und Jugendarbeit mit dem Etikett der "kommunistischen Indoktrination" zu versehen.
Auch mit diesem Ergänzungsband konnte ein Zusammenarbeit von west- und ostdeutschen Autoren dadurch erreicht werden, daß in Seminaren unseres Forschungsprojekts wichtige Teilthemen behandelt wurden. Was weithin noch aussteht, ist das Aufzeigen der Wechselwirkungen zwischen den Entwicklungen in beiden deutschen Staaten. Gerade in den fünfziger und sechziger Jahren haben solche emanzipatorischen Ansätze wie die Gleichberechtigung der Frau oder die Polytechnisierung der Bildung auch westdeutsche Diskussionen befördert.
Die Herausgeber vermögen nur für die Zukunft einen Anstoß zu geben. Auch über ein Jahrzehnt nach Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands sind die geistigen Mauern zwischen beiden Landesteilen groß. Nicht zuletzt die Unwissenheit der meisten westdeutschen Landsleute und deren Überzeugung, die in jeder Hinsicht bessere Gesellschaft bereits errichtet zu haben, ist angesichts der heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen fatal. Dagegen finden wir die Überlegung von Fernsehjournalisten des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) zu unserem Sammelband so posiotiv herausfordernd, daß wir sie hier zitieren wollen: "Der Bundestagswahlkampf hat begonnen. Große Parteien führen Gefechte mit Pappschwertern um potemkinsche Dörfer. Die Lage ist ernst, denn richtige Konzepte zur Lösung der Lage gibt es nicht. Nicht nur dem Osten geht es schlecht. Der Sozialstaat dankt ab. Nun melden sich einige Wissenschaftler, zum Teil auch noch aus dem Westen, und sagen frech: So hätte das nicht kommen müssen. Man hätte mit dem Einigungsvertrag einige soziokulturelle Einrichtungen der DDR übernehmen sollen. Fortschrittlicher, sozialer und humanistischer seien sie gewesen. Aber die neue Geschichtsschreibung reduziert die DDR auf einen Schurkenstaat. Ist das der Anfang eines neuen Diskurses um die deutsche Geschichte?"
West- und ostdeutsche Wissenschaftler der älteren wie der jüngeren Generation haben in der Tat etwas getan, was den Beobachter in dem Eindruck bestärken kann, daß hier ein Geschichtsbild umgekrempelt werden soll. Wir verweisen hier, abschließend, noch einmal auf das in der Einleitung zum 1. Band Gesagte: Obwohl die sowjetisch geprägte repressive SED-Herrschaft in der DDR das Entstehen eines sozialistischen Gesellschaftssystems vereitelt hat, ist dieses Sozialsystem mit dem Etikett "SED-Diktatur" nicht ausreichend beschrieben; denn es gab darin gleichwohl eine beachtliche Anzahl humaner sozialkultureller Einrichtungen und Leistungen, die diese Gesellschaft mitgeprägt haben, oft sogar gegen die Absichten der SED-Führung. In diese Einrichtungen haben Millionen aktiver Bürger der DDR ihre Lebenskraft investiert. Die Herausforderung ist also eine doppelte: Die Lebensleistung der Ostdeutschen zu würdigen, die mit ihrer Gesellschaft eine antikapitalistische Alternative schaffen wollten und Ideale des Humanismus wie der Arbeiterbewegung zu verwirklichen trachteten. So kann gegen die Reduzierung der DDR auf ein repressives Regime (die sie auch war) eine komplexere Sichtweise gesetzt werden.
Und zukunftsorientiert: Nicht wenige sozialkulturelle Einrichtungen der DDR sind für gesellschaftliche Alternativen zum marktradikalen, neoliberalen Kapitalismus unverzichtbar. Auch die Beiträge dieses 2. Bandes sind Belege für die These, daß die DDR nicht zu Pauschalurteilen taugt. Deshalb muß man sich nicht nur gegen die westdeutsch dominierte destruktive Vergangenheitsbewältigung zu wenden, sondern die Ostdeutschen sind in ihrem Selbstbewußtsein zu stärken, sich ihrer eigenen Geschichte zu versichern und einen Beitrag für die Bundesrepublik zu leisten, nach dem Motto von attac: Eine andere Gesellschaft ist möglich.